Entwicklung und Durchsetzung des Umweltinformationsgesetzes (UIG)

von Benjamin Fadavian (2013)

In der öffentlichen Debatte und dem politischen Bewusstsein treten Forderungen nach einer stärkeren Öffnung der Verwaltung und des Staates (Open Government) und ihrer Daten (Open Data) immer mehr in Vordergrund. Die verschiedenen Bewegungen haben es geschafft, die vormals netzpolitische und eher von Interneteliten geführte Debatte in die Breite der Gesellschaft zu führen. Es ist kein Zufall, dass sich immer mehr Menschen die Frage stellen, ob es nicht sinnvoll und im Sinne größtmöglicher Informationsfreiheit (vgl. Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG) ist, wenn Verwaltungen nicht personengebundene und nicht sicherheitsrelevante Daten zur freien Nutzung aller Bürger freigeben und die Hürden zur Einsichtnahme möglich niedrig sind (Kostenlosigkeit, Maschinenlesbarkeit, etc.). In viele Städten (Berlin, Köln, Wuppertal, Aachen etc.) finden Open-Data-Days statt, die Enquête-Kommission Internet und digitale Gesellschaft des Deutschen Bundestages beschäftigt sich mit dem Thema und auch die nordrhein-westfälische Landesregierung hat Open Government erst kürzlich als ein Ziel formuliert.

Wer sich das Thema Open Government näher ansieht, kommt nicht umhin, sich die deutsche und europäische Rechtsentwicklung näher zu Gemüte zu führen. Neben dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) des Bundes und aktuellen Entwicklungen wie dem Hamburgischen Transparenzgesetz (HmbTG), das in seiner Entstehung einer eigenständigen Beleuchtung bedürfte, ist das Umweltinformationsgesetz (UIG) des Bundes ein Beispiel dafür, wie Open Data im Umweltbereich entstehen kann und wie damit umgegangen wird. Zwar beschränkt es sich, wie der Name bereits vermuten lässt, nur auf Umweltdaten. Dennoch lassen sich hieraus neben dem IFG Tendenzen ablesen, die nach der ein oder anderen Modifikation in die richtige Richtung führen können. In seiner Entwicklung und Entstehung ist das UIG, das wesentlich älter als das IFG ist, ein interessantes Beispiel, wie die Konfliktlinien nicht nur zwischen den Parteien (wie beim IFG), sondern auch zwischen EU und Mitgliedsstaat aussehen kann.
Auffällig ist zunächst, dass das UIG seinen Ursprung nicht in Deutschland hat. Grundlage für das UIG ist die EU-Richtlinie 90/313/EWG des Rates vom 7. Juni 1990 (1). Nach Artikel 1 der Richtlinie ist es das Ziel, den freien Zugang zu den bei den Behörden vorhandenen Informationen über die Umwelt sowie die Verbreitung dieser Informationen zu gewährleisten und die grundlegenden Voraussetzungen festzulegen, unter denen derartige Informationen zugänglich gemacht werden sollen. Hiernach folgen die wesentlichen inhaltlichen Vorschriften, insbesondere Artikel 3, wonach die Mitgliedsstaaten dafür Sorge tragen, dass ihre Behörden im Grundsatz (also vorbehaltlich verschiedener Ausnahmetatbestände) verpflichtet werden, allen natürlichen oder juristischen Personen auf Antrag ohne Nachweis eines Interesses Informationen über die Umwelt zur Verfügung zu stellen. Gemäß Artikel 9 erlassen, wie bei EU-Richtlinien üblich, die Mitgliedsstaaten die nötigen Rechts- und Verwaltungsvorschriften, um die Richtline zu verwirklichen. Als Frist wurde seinerzeit der 31. Dezember 1992 festgelegt. Wer sich das UIG ansieht, wird jedoch rasch feststellen, dass es erst am 16. Juli 1994 in Kraft trat. Was galt also in der Zwischenzeit? Der Europäische Gerichtshof (EuGH) prägt im Unionsrecht seit geraumer Zeit den effet-utile-Grundsatz, für den charakteristisch ist, dass eine Norm so ausgelegt werden soll, dass das Vertragsziel am effektivsten erreicht werden kann. Das heißt in der Konsequenz, dass auch Normen aus Richtlinien, die im Regelfall eines nationalstaatlichen Umsetzungsaktes bedürften, direkt anwendbar sein können. Dies kommt insbesondere dann in Betracht, wenn ein Staat die Umsetzung von EU-Recht versäumt und dem Bürger des entsprechenden Mitgliedsstaates subjektive Rechte nicht zur Verfügung stehen, die ihm bei ordnungsgemäßer Transformation des EU-Rechts in nationales Recht zur Verfügung stünden. So lag der Fall zwischen 01. Januar 1993 und der Umsetzung es UIG 1994. Die Umsetzung des UIG 1994 entsprach jedoch, obgleich seiner Verspätung, nicht den Anforderungen der EU-Richtlinie. Erst 2001, nachdem Deutschland in einem Vertragsverletzungsverfahren zur EU-konformen Umsetzung verurteilt worden war, trat ein mit EU-Recht vereinbarungsfähiges UIG in Kraft. Die völkerrechtlichen Entwicklungen machten das UIG jedoch auch in der neueren Fassung von 2001 schon bald wieder hinfällig. Nur wenige Monate nach In-Kraft-Treten des EU-konformen UIG trat das Aarhus-Abkommen (2) in Kraft, das den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten regelte und erstmals jeder Person Rechte im Umweltschutz zuschrieb (3). Die EU erließ 2003 daher eine neue Richtlinie (4), die Deutschland 2005 zu einer notwendigen Änderung des UIG veranlasste.

Die oben aufgezeigte Entwicklung liest sich bei politischer Bewertung wie eine Abfolge verschiedener Maßnahmen, welche – freundlich ausgedrückt – nicht auf die Herstellung von Transparenz und umfassenden Informationsrechten gezielt sind. So ist zunächst festzustellen, dass Deutschland nicht von sich aus ein dem UIG vergleichbares Regelungswerk im nationalen Recht verankert hatte. Darüberhinaus versäumte Deutschland die rechtzeitige Umsetzung der EU-Richtlinie und setzte sodann ein Gesetz in Kraft, das nach richterlicher Feststellung nicht einmal den Mindestanforderungen der Richtlinie entsprach. Die Tendenz ging und geht leider dahin, dass Deutschland die europa- und völkerrechtliche Entwicklung verschläft und bei Transparenzoffensiven jedenfalls bisher eher als Bremser denn als Treiber fungierte. So kann vielen unserer Nachbarländer und der EU ingesamt durchaus attestiert werden, auf dem Gebiet der offenen Daten deutlich weiter zu sein und wesentlich innovativere Denkkonzepte zu verfolgen. Eine ähnliche Entwicklung zeichnet sich bei dem verwandten Thema „Open Education“, auch „offener Schulcontent“ ab. Die EU hat in verschiedenen Dokumenten (5) neue Lehr- und Lernmethoden auf Basis von digitalem offenem Schulcontent empfohlen. Staatliche Initiativen, die diese Entwicklung aufgreifen und sich als Vorreiter bei Innovationen verstehen, sind derzeit jedoch, anders als in anderen Mitgliedsländern, kaum zu entdecken.
Generell bleibt abzuwarten, wie sich die Entwicklung in den Bereichen Open Data und Transparenz entwickelt. Die politische Debatte erkennt jedoch zunehmend, dass Bürger gegenüber ihrer Verwaltung ein gesteigertes Transparenzbedürfnis haben. Die Gesetzgebung und der gesamte Public Sector sind gut beraten, sich frühzeitig und strategisch mit der Thematik auseinanderzusetzen, um von Entwicklungen aus der Mitte der Bürgerschaft oder dem sich entwickelnden europäischen Rechtsrahmen nicht unvorbereitet getroffen zu werden. Hierbei wäre es insbesondere wünschenswert, dass die Chancen und Möglichkeiten offener Daten, z.B. im Bereich der Wirtschaftsförderung, stärker in den Blickwinkel genommen werden.

(1) http://eur-lex.europa.eu/smartapi/cgi/sga_doc?smartapi!celexplus!prod!CELEXnumdoc&numdoc=390L0313&lg=de (28.01.2013)

(2) http://www.bmu.de/fileadmin/bmu-import/files/pdfs/allgemein/application/pdf/aarhus.pdf (28.01.2013)

(3) http://de.wikipedia.org/wiki/Aarhus-Konvention (28.01.2013)

(4) Richtlinie 2003/4/EG

(5) vgl. COM(2012) 669 final (abrufbar unter: http://ec.europa.eu/education/news/rethinking/com669_de.pdf; 28.01.2013, S. 11)